Die Korrekturphase zur ersten Partneraufgabe in der Veranstaltung „Einführung in die qualitative Sozialforschung“ ist endlich abgeschlossen. Obwohl ich von Silvia super unterstützt wurde, habe ich es erst bis Samstagabend geschafft, die 11 Feedbacks (insgesamt rund 24 Seiten) fertigzustellen, weshalb meine Doktorarbeit die letzte Woche vorrübergehend auf Eis lag. Da mir dabei aufgefallen ist, dass dieses Mal erstaunlich viele die Aufgabenstellung nicht vollständig erfasst haben, war ich etwas irritiert und habe darüber dann ausführlich mit Gabi und Silvia, aber auch, zum Teil unabhängig voneinander, mit Frederic, Sebastian und Christian diskutiert.
Natürlich habe ich zunächst auch mich selbst hinterfragt. Es hätte eventuell sein können, dass ich dieses Mal in der ersten Einführungssitzung ein paar Hinweise vergessen habe, da ich es nun schon zum vierten Mal hintereinander erzählt habe und da vielleicht nicht mehr ganz so konzentriert war. Andererseits bin ich mir sicher, dass ich wichtige Aspekte zumindest erwähnt habe (da ich die Veranstaltung noch öfters anbieten werde, kann ich hier nicht allzu viele Details verraten). Außerdem kann ich gar nicht so viel falsch erzählt haben, denn zum einen kenne ich das Seminar und die Aufgaben gut genug, zum anderen ist die Aufgabenstellung so eindeutig formuliert, dass ich da kaum irreführende Informationen vermittelt haben kann.
In der Diskussion mit meinen „Kollegen“ gab es auch kurz die Überlegung, optional eine Nachbesserung anzubieten. Ich muss gestehen, dass ich kein Freund des Nachbesserns bin, allerdings will ich das nicht prinzipiell ausschließen, da es mitunter pädagogisch sinnvoll sein kann.
Jedenfalls wurde ich in der aktuellen Situation in meiner Meinung bestärkt, keine Nachbesserungsmöglichkeit anzubieten. Ich will kurz meine Argumente (die spezifisch auf diese Situation abgestimmt sind) zusammenfassen:
- Die Möglichkeit zur Nachbesserung soll ja vor allem pädagogisch begründet sein, als Chance, den Lernerfolg zu erhöhen. Ich glaube aber, dass durch das Feedback bereits ein ausreichender Lerneffekt da ist, denn schon dadurch sollten die Teilnehmer wissen, was sie falsch gemacht haben und zukünftig besser machen würden. Insofern sehe ich darin, dieses neue Wissen (was ja schon ein Lernerfolg ist) auch noch zu praktizieren (wo es „nur“ darum ginge, Anweisungen auszuführen) keine speziellen Mehrwert (vor allem im Verhältnis zu meinem höheren Aufwand).
- Nach wie vor gilt für mich nämlich, dass ich von Studenten im mindestens dritten Semester verlange, eine eindeutige (das wurde mir inzwischen mehrfach bestätigt) Aufgabenstellung richtig zu erfassen und im Zweifelsfall nachzufragen. Das heißt ebenfalls, dass ich nicht exakt vorher vorgebe, was zu tun ist – die Leistung ist ja gerade der Transfer, der eigenständig zu leisten ist (s. u.).
- Besonders viel Gewicht hat für mich der Aspekt der „Chancen-Gerechtigkeit“ bzw. „Wettbewerbsverzerrung“. So wäre es ungerecht in zweifacher Hinsicht: Einmal gegenüber Studenten vorheriger Semester (die nicht nachbessern konnten) und zum anderen gegenüber den aktuellen Teilnehmern, die gut waren. Denn wenn nun die schlechten Gruppen nachbessern können, wo wäre dann der „Lohn“ der guten Gruppen? Im Endeffekt müsste sich keiner mehr anstrengen, da jeder sowieso die Note erreichen kann, die er haben will (notfalls mit Nachbessern). Insofern könnte Nachbessern zwar vordergründig die Anstrengungsbereitschaft fördern, indirekt aber die Leistungsbereitschaft untergraben.
Trotzdem will ich den Studenten natürlich das Leben nicht unnötig schwer machen. Ein guter Vorschlag von Frederic war, die aktuelle Leistung regulär zu bewerten (wir reden hier ja nicht von Noten im 3er oder 4er Bereich, sondern davon, dass nun am Ende halt vermutlich keine 1 vor dem Komma steht), dafür aber dann bei den zukünftigen Leistungen, wenn dort ein deutlicher Fortschritt erkennbar ist, etwas großzügiger zu werten – also zukünftige Lernerfolge besser würdigen, gerade vor dem Hintergrund der Ausgangssituation.
Heute habe ich übrigens die Gelegenheit genutzt, einen Präsenz-Termin anzusetzen und kurz versucht, mit den Seminar-Teilnehmern über die erste Partneraufgabe zu diskutieren. Ich wollte damit erreichen, dass ergänzend zum bereits erhaltenen, individuellen Feedback, die Seminar-Anforderungen klarer werden und außerdem herausfinden, ob die detaillierte Rückmeldung sowohl als hilfreich als auch als „fair“ empfunden wurde.
Interessant fand ich dabei einen Kommentar bzw. eine Rückfrage zur eher „offenen“ Aufgabenstellung. Deshalb will ich hier abschließend kurz deren Sinn erläutern: Ziel ist es, die Kenntnisse in einem einigermaßen authentischen Szenario anzuwenden. Das bedeutet, dass es wie in der Realität eben keine klar umgrenzte Aufgabenstellung gibt, auf die auswendig gelerntes Wissen quasi „automatisch“ passt. Vielmehr geht es darum, ein Verständnis für die Problemlage zu entwickeln. Und in meinen Augen ist die Aufgabe nicht so „offen“, sie ist ja didaktisch vorstrukturiert und alle benötigten Informationen liegen vor – es muss also „nur“ noch das Wissen transferieren werden…
PS: Morgen startet die erste Befragung im Rahmen der Studie von Silvia (ich hatte schon hier berichtet) – da bin ich echt mal gespannt auf die Ergebnisse 🙂